Pressestelle
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Deutscher Schmerzkongress 2020 / Kongress-Pressestelle Friederike Gehlenborg und Katharina Weber
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T +49 (0) 711 / 8931-295/-583
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E gehlenborg@medizinkommunikation.org
E weber@medizinkommunikation.org
www.schmerzgesellschaft.de
Pressekonferenz
Online-Pressekonferenz
Mittwoch, 21. Oktober 2020
11.00 bis 12.00 Uhr
Sehr geehrte Damen und Herren,
in Deutschland sind mehr als sechs Millionen Menschen durch chronische Schmerzen stark beeinträchtigt. Jeder Patient hat ein individuelles Beschwerdebild und eine eigene Lebensgeschichte – so dass auch die Therapie ganz gezielt und individuell abgestimmt werden muss. Unter dem Motto „Gleich und doch verschieden“ findet deshalb in diesem Jahr der Deutsche Schmerzkongress vom 21. bis zum 24. Oktober statt.
Um die individualisierte Schmerztherapie geht es unter anderem auch auf einer Online-Pressekonferenz am Mittwoch, den 21. Oktober von 11 bis 12 Uhr, die anlässlich des Online-Kongresses stattfindet. Wie kann eine individualisierte Diagnostik der Ursache für chronische Schmerzen entgegenwirken? Und wie kann der Patient bei der Therapie und Diagnostik im Fokus stehen? Welche Neuigkeiten gibt es bei dem Projekt PAIN2020? Welche Wirkung hat die personalisierte Antikörpertherapie in der Schmerzmedizin? Über diese Fragen diskutieren Experten der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. auf der Online-Pressekonferenz. Auch die Digitalisierung in der Kopfschmerzmedizin – etwa die Wirkungskraft von Apps – ist ein zentrales Thema der Veranstaltung. Zudem geht ein Experte der Frage nach, ob und wie Opioide wirkungsvolle Mittel im Kampf gegen den Schmerz sein können.
Wir laden Sie herzlich zu unserer Online-Pressekonferenz ein. Das vorläufige Programm finden Sie unten angefügt. Sie können sich hier bereits vorab für die Teilnahme registrieren:
„Gleich und doch verschieden – personalisierte Schmerzmedizin“
Programm-Punkte
Neue Wundermittel gegen den Schmerz? Über die Wirkung der personalisierten Antikörpertherapie in der Schmerzmedizin
PD Dr. med Tim Jürgens, Präsident der DMKG, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Rostock
Projekt PAIN2020: Der Patient im Fokus – wie eine individualisierte Diagnostik chronischen Schmerzen entgegenwirken kann
Dr. rer. nat. Dipl-Psych. Ulrike Kaiser, Universitätsklinikum Dresden
UniversitätsSchmerzCentrum
Apps, Kopfschmerzregister und Co.: Über die Digitalisierung in der Kopfschmerzmedizin
Priv.-Doz. Dr. med. Ruth Ruscheweyh, Zertifizierte DMKG -Kopfschmerzexpertin, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München
Opioide – wirkungsvolle Mittel im Kampf gegen den Schmerz?! Neueste Erkenntnisse über Vor- und Nachteile
Prof. Dr. Frank Petzke, Klinik für Anästhesiologie, Abteilung Schmerzmedizin, Universitätsmedizin Göttingen
Moderation: Friederike Gehlenborg, Pressestelle des Deutschen Schmerzkongresses 2020
Pressemitteilungen
Bericht zum Deutschen Schmerzkongress 2020:
Gleich und doch verschieden –
Im Fokus: Personalisierte Schmerzmedizin
Mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen, die ihren Alltag beeinträchtigen. Alle diese Patienten haben Schmerzen – doch jeder Patient hat sein ganz individuelles Beschwerdebild und idealerweise sollten Therapeuten die Behandlung ganz individuell auf den einzelnen Menschen und seine Bedürfnisse abstimmen. Unter dem Motto „Gleich und doch verschieden“ fand deshalb in diesem Jahr der Deutsche Schmerzkongress der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) vom 21. bis zum 24. Oktober als Online-Kongress statt.
Schmerz ist ein vielfältiges Phänomen. Jeder Mensch leidet an ganz individuellen Beschwerden und spricht auf seine eigene Art auf die verschiedenen Therapiemöglichkeiten an. Die über 1 700 Teilnehmer des diesjährigen Schmerzkongresses diskutierten deshalb in vielen Online-Symposien darüber, wie Diagnostik und Therapie in der Schmerzmedizin personalisiert werden können. „Ein zentrales Thema unseres Kongresses war die Frage, wie man vorhersagen kann, welchem Patienten welche Therapie am besten nützen wird“, erklärt die Kongresspräsidentin Professor Dr. Ulrike Bingel von der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Essen.
Im Präsidentensymposium wurde das Kongressmotto „Gleich und doch verschieden“ aus mehreren Perspektiven betrachtet, aus der Sicht der Patienten, eines Physiotherapeuten, einer Neurowissenschaftlerin und einer Psychologin. „Nur wenn wir diese intensive interdisziplinäre Kommunikation aufrechthalten, können wir unser Ziel der effizienten individualisierten Schmerztherapie erreichen“, sagt Professor Dr. Claudia Sommer, Präsidentin der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. An das Kongressmotto knüpften viele der Symposien an, auch das wissenschaftliche Symposium „Denkpause“, in dem humane Modelle für die Verschiedenheit der Schmerzpatienten vorgestellt wurden, wie im Labor generierte humane Nozizeptoren, und in dem die Bedeutung von Lipiden für die Nozizeption aufgezeigt wurde. Direkt in das Thema der Behandlung stiegen Expertinnen ein, die sich unter dem Kongressmotto fragten „Wer profitiert wovon am besten?“. Hier wurden bessere Outcomeanalysen anhand von Subgruppenprofilen der Patienten gefordert.
Eines der Schwerpunktthemen der wissenschaftlichen Symposien und Online-Vorträge war die Prävention von Schmerzen. In den vergangenen Jahren sind neuartige Medikamente, sogenannte monoklonale Antikörper für die Migräneprophylaxe, zugelassen worden. Für die rund sechs Millionen Migränepatienten hierzulande könnten sie einen wirklichen Fortschritt bedeuten, weil sie die Kopfschmerzattacken gar nicht erst entstehen lassen. Die Medikamente sind gut verträglich, aber sehr teuer; sie sind deshalb Patienten vorbehalten, die auf die alten Medikamente zur Prophylaxe nicht ansprechen. Das derzeitige Manko ist: „Wir wissen nicht, welcher Patient auf welche Therapie ansprechen wird. Von personalisierter Medizin sind wir noch weit entfernt“, sagt PD Dr. med. Tim Jürgens, Präsident der DMKG und Ärztlicher Leiter des Kopfschmerzzentrums Nord-Ost, Universitätsmedizin Rostock. Die Schmerzexperten wollen Prädiktoren aufspüren – also Faktoren, die vorhersagen können, welche Therapie welchem Patienten am besten hilft. Zudem stellten die Experten mit PAIN2020 ein weiteres Projekt zur Prävention chronischer Schmerzen auf dem Kongress vor. In der deutschlandweiten Versorgungsforschungsstudie evaluieren sie ein frühes multiprofessionelles Assessment, bestehend aus drei Disziplinen – und zwar aus der Schmerzmedizin, der Physiotherapie und der Psychologie – und einem integrativen Teamansatz. Ziel des Projektes ist es, Patienten mit Risikoprofilen gezielt frühzeitig aufzuspüren und ihnen die für sie geeigneten Therapieoptionen anzubieten – noch bevor sie eine chronische Schmerzerkrankung bekommen. Die Experten sind sich einig, dass eine solche multiprofessionelle Perspektive bei der Analyse bestehender Probleme hilft. Diese Sichtweise wird auch von entsprechenden Leitlinien in der Schmerzmedizin empfohlen. Ein Problem sei jedoch – so die Experten auf dem Kongress – dass dieser Ansatz in der Versorgung noch nicht regelhaft angekommen sei. Das sollte nach Ansicht der Experten jetzt geändert werden.
Gute Dienste bei der Suche nach Prädikatoren für das Ansprechen auf Therapie könnte das Kopfschmerzregister der DMKG leisten, ein Beispiel für den sinnvollen Einsatz der Digitalisierung in der Kopfschmerzmedizin. Hier geben Patienten bereits vor ihrer Erstvorstellung beim Arzt und vor jeder Wiedervorstellung wichtige Informationen über ihre Kopfschmerzen in ein webbasiertes Patientenportal ein. So kann der Verlauf der Behandlung optimal verfolgt werden und es können Prädiktoren für das Ansprechen auf Therapie identifiziert werden. Als weiteren Fortschritt sehen die Schmerzexperten digitale Angebote wie Apps, die das Führen eines Kopfschmerzkalenders erleichtern und zusätzliche Angebote, wie zum Beispiel Information über Kopfschmerzen oder Entspannungsübungen beinhalten können. Die oft jungen Kopfschmerzpatienten nehmen die digitalen Angebote sehr gut an.
Wenn die Prävention nicht gelungen ist und sich chronischer Schmerz entwickelt hat, dann kommt die Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie (IMST) zum Tragen. In einem vielbesuchten Symposium erläuterten die Referenten, dass der multifaktorielle Prozess chronischer Schmerzen nicht durch einen monomodalen Ansatz behandelt werden kann. Die IMST ist keine Aneinanderreihung von Einzelverfahren, sondern eine komplexe Gesamtleistung mit integrativer Struktur. Die ad-hoc Kommission der Deutschen Schmerzgesellschaft zum Thema IMST hat in wiederholten Publikationen die Evidenz für die Wirksamkeit gesammelt.
Es gibt Begriffe, die häufig verwendet werden, ohne dass man über ihre Definition nachdenkt, dazu gehören die Muskelverspannungen. Expertinnen und Experten aus der Physiotherapie und der Biomechanik diskutierten, wie man sich diesem Thema wissenschaftlich nähern kann. Sie zeigten, wie man computergesteuert mittels Elastogrammen Unterschiede in der Nackenmuskulatur zwischen Frauen mit chronischen Nackenschmerzen und Gesunden erkennen kann, interessanterweise in den tiefen Muskelschichten und mit sehr individuellem Spannungsmuster, was den Ruf nach einer individualisierten Therapie bestärkt.
Ein viel diskutiertes Gebiet ist nach wie vor die Verwendung von Opioiden bei chronischen Schmerzen. Zwar gibt es in Deutschland keine „Opioidepidemie“ wie zum Beispiel in den USA, auch dank der hervorragend recherchierten Leitlinie LONTS, aber es wird definitiv empfohlen, keine Opioide bei primären Schmerzerkrankungen (wie beispieslweise bei Fibromyalgie) zu verschreiben, und bei sekundären chronischen Schmerzen eine eventuelle Opioidtherapie engmaschig zu überwachen.
Erstmals wurde ein Symposium selbständig von Mitgliedern der „Jungen Schmerzgesellschaft“ gestaltet. Hier wurden aktuelle Themen aus der eigenen Forschung der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgenommen, wie Geschlechtsunterschiede bei Schmerzen, die Genauigkeit und Sicherheit von Apps in der Therapie, und wie man postoperativen Schmerz am besten messen kann.
Neben Online-Vorträgen und Symposien waren auch in diesem Jahr Preisverleihungen ein zentraler Bestandteil des Kongresses. So verlieh die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem Stifter der Grünenthal GmbH aus Aachen beispielsweise auch in diesem Jahr wieder den Förderpreis für Schmerzforschung. Die Preisträger durften sich über ein Preisgeld in Höhe von insgesamt 21.000 Euro freuen. Zudem verlieh die DMKG im Zuge des Online-Kongresses zum Beispiel den Wolffram-Preis 2020 in Höhe von insgesamt 8.500 Euro. Im Top Young Science Symposium konnten wieder einmal junge Schmerzforscherinnen und -forscher ihre Ergebnisse zeigen und Preise für die besten Poster und Vorträge entgegennehmen. Details zu den Preisverleihungen sind auf den Homepages der Fachgesellschaften zu finden (siehe untenstehende Links).
Rückblickend auf den Kongress ziehen die beiden Kongresspräsidenten ein positives Fazit. Zusammenfassend sagte Kongresspräsident PD Dr. Charly Gaul: „Auf dem diesjährigen Schmerzkongress haben viele Experten aus Grundlagenforschung und medizinischem Alltag mit ihren Erkenntnissen zur Individualisierung der Schmerztherapie beigetragen.“ Für alle Interessenten, die nicht an dem Online-Kongress teilnehmen konnten, gibt es noch etwa ein Jahr die Möglichkeit, die Symposien online über die Kongresshomepage unter https://schmerzkongress2020.de/ einzusehen.
Weitere Informationen:
Pressemitteilung zum WolfframPreis 2020: https://www.dmkg.de/files/dmkg.de/PDF-Dokumente/Wolffram_Preis_2020_Pressemitteilung.pdf
Pressemitteilung zum Förderpreis für Schmerzforschung: https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/forschung-und-foerderung/forschungsfoerderung/foerderpreis-fuer-schmerzforschung/preistraeger-2020
Pressemappe
Pressemappe und Link zum Videomitschnitt zur Online-Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses am Mittwoch, 21. Oktober 2020, 11 bis 12 Uhr
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erhalten Sie die Pressemappe zur Online-Pressekonferenz der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG).
Bitte stellen Sie sie auf den Homepages Ihrer Fachgesellschaften sowie auf der Kongress-Homepage ein.
Bitte stellen Sie auch den Link zum Videomitschnitt der Pressekonferenz ein. Er lautet:
https://attendee.gotowebinar.com/recording/3412905393774973455
Monoklonale Antikörper – Wundermittel gegen den Schmerz? Experten fordern weitere Studien
Mannheim, 21. Oktober 2020 – Migräneattacken bereits im Vorfeld ausschalten – das wünschen sich viele der etwa sechs Millionen Migränepatienten in Deutschland. Hoffnung dafür machen monoklonale Antikörper, die jüngst für die Migräneprophylaxe in Europa zugelassen worden sind. Doch noch werden diese Substanzen oft zögerlich in der Therapie eingesetzt. Warum das so ist, erklären Schmerzexperten auf der Online-Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress 2020, die heute von 11 bis 12 Uhr stattfindet. Sie fordern größere prospektive Studien, wie sie durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) mit dem DMKG-Kopfschmerzregister begonnen wurden. Der Schmerzkongress findet in diesem Jahr online statt. Veranstalter sind die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die DMKG.
Migränepatienten leiden unter starken Kopfschmerzen und zahlreichen Begleitsymptomen wie Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Da dadurch ihre Lebensqualität stark beeinträchtigt ist, haben neben Medikamenten gegen akute Attacken auch Medikamente für die Migräneprophylaxe eine zentrale Bedeutung. „In den vergangenen Monaten sind drei neuartige Medikamente für die Migräneprophylaxe in Europa zugelassen worden“, sagt PD Dr. med. Tim Jürgens, Präsident der DMKG und Ärztlicher Leiter des Kopfschmerzzentrums Nord-Ost, Universitätsmedizin Rostock. „Ärzte dürfen sie bei Patienten einsetzen, die nicht auf andere vorbeugende Therapien ansprechen.“ Die neuen Medikamente gehören zur Gruppe der monoklonalen Antikörper (mAb). Diese richten sich gegen wichtige Botenstoffe, die bei der Entstehung von Migräneattacken eine zentrale Rolle spielen. Ziel der zugelassenen mAbs ist das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), das aus Nervenzellen freigesetzt wird und in der Übertragung von Schmerzsignalen eine entscheidende Rolle spielt. Die monoklonalen Antikörper zirkulieren als immunologisch aktive Eiweiße im Körper und erkennen eine bestimmte Oberflächenstruktur des Botenstoffs CGRP beziehungsweise des CGRP-Rezeptors, binden daran und blockieren somit die Weiterleitung von schmerzhaften Signalen. Zugelassen sind zwei monoklonale Antikörper gegen CGRP (Fremanezumab, Galcanezumab) und ein monoklonaler Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor (Erenumab).
„Während in Bereichen wie der Onkologie und Rheumatologie sowie der Behandlung der multiplen Sklerose monoklonale Antikörper seit vielen Jahren als klinisch hocheffektive neue Therapieformen etabliert sind, sind sie in der Indikation Migräne in der Schmerzmedizin noch recht neu und werden noch selten verschrieben“, erklärt Jürgens. Auch bedingt durch die sozialrechtlichen Vorgaben sind diese Therapien Patienten vorbehalten, die auf herkömmliche Kopfschmerzprophylaktika nicht ansprachen. „Ein personalisierter Einsatz mit dem Ziel, jedem Patienten möglichst früh das bei ihm mutmaßlich wirksamste Medikament zukommen zu lassen, wird aktuell nicht praktiziert.“
„Ursächlich dafür ist die weitestgehend fehlende Kenntnis paraklinischer und klinischer Erfahrungswerte für den Einsatz der monoklonalen Antikörper, was jedoch gerade bei neuen kostspieligen Therapieformen wünschenswert wäre“, erklärt Jürgens. „Zusammenfassend ist die aktuelle Datenlage für einen personalisierten Einsatz der neuen monoklonalen Antikörper dürftig“, so der Schmerzexperte. Sie sei selbst für bereits länger verfügbare Substanzen nicht so gut, dass ein personalisierter Einsatz im klinischen Alltag implementiert ist. „Dies ist nur durch größere prospektive Studien – idealerweise im Rahmen von Registern – zu klären, wie sie durch die DMKG mit dem DMKG-Kopfschmerzregister begonnen wurden.“
Neben der Antikörpertherapie in der Schmerzmedizin ist passend zum diesjährigen Kongress-Motto „Gleich und doch verschieden“ die individualisierte Schmerztherapie auch in anderen Bereichen der Schmerzmedizin Thema der virtuellen Veranstaltung. Die Referenten informieren beispielsweise über die Digitalisierung in der Kopfschmerzmedizin und über das Projekt PAIN2020. Zudem geht es um den Einsatz von Opioiden in der Schmerzmedizin.
Zu viele Medikamente, zu wenig Bewegungsanreize: Schmerzpatienten werden oft falsch behandelt – Experten empfehlen multiprofessionell abgestimmte Diagnostik
Mannheim, 21. Oktober 2020 – Eine Überversorgung mit Medikamenten, zu allgemeine körperlich orientierte Therapieangebote, zu wenig Bewegungsanreize – in der Behandlung von Patienten mit Schmerzen gibt es nach Ansicht von Experten hierzulande momentan große Defizite – das zeigen auch erste Erfahrungen des im Jahre 2018 initiierten Projekts PAIN2020. Doch wie sollte eine konzeptionelle Therapie idealerweise gestaltet sein? Welche Elemente müssen in der Diagnostik frühzeitig berücksichtigt werden? Antworten auf diese Fragen geben Experten auf der heutigen Online-Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress 2020. Der Schmerzkongress findet in diesem Jahr vom 21. bis 24. Oktober online statt. Veranstalter sind die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG).
Die Versorgung von Schmerzpatienten ist nach Ansicht der Experten beider Fachgesellschaften in Deutschland momentan unzureichend. „Die Erkrankten bekommen häufig zu wenig bedarfsgerechte Therapien“, kritisiert Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Ulrike Kaiser vom UniversitätsSchmerzCentrum am Universitätsklinikum Dresden. „Um eine individuelle Behandlung zu ermöglichen, ist es unbedingt erforderlich, dass geltende Leitlinien in der Schmerzmedizin auch adäquat umgesetzt werden. Das ist allerdings leider oft nicht der Fall.“ Nach Ansicht der Psychologin sollten diese Leitlinien unbedingt schon zu Beginn der Schmerzerkrankung möglichst genau auf den jeweiligen Bedarf eines Patienten zugeschnitten werden.
Zentrale Elemente in der Schmerztherapie sind – neben einer medizinisch professionellen und individuellen Begleitung – zielgerichtete Bewegungsangebote. „Häufig werden diese viel zu wenig und zu spät eingesetzt“, bemängelt Kaiser. „Neben medizinischen Aspekten und Aktivierungsangeboten sollten auch psychosoziale Faktoren frühzeitig in der Schmerztherapie Berücksichtigung finden“, so die Expertin. „Wenn diese Elemente gemeinsam einbezogen werden, kann eine gezielte, bedarfsgerechte Therapie am besten wirken.“
Um die genannten Defizite in der Schmerztherapie zu beheben, wurde von der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der BARMER 2018 das Projekt PAIN2020 ins Leben gerufen. Bisher wurden hier mehr als 600 Patienten eingeschlossen. Passend zum diesjährigen Motto des Schmerzkongresses 2020 „Gleich und doch verschieden“ steht die interdisziplinäre Schmerztherapie bei dem Projekt PAIN2020 im Mittelpunkt. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Lücke in der Versorgung von Patienten mit Schmerzen und Chronifizierungsrisiko durch einen frühzeitigen interdisziplinären und diagnostischen Ansatz zu schließen“, erläutert Kaiser.
PAIN2020 ist ein deutschlandweit angelegtes Projekt, an dem aktuell 26 Einrichtungen aus zwölf Bundesländern aktiv mitwirken. Die teilnehmenden Patientinnen und Patienten erhalten im Zuge dessen eine multiprofessionelle Diagnostik, die aus drei wichtigen Bausteinen besteht: einer ärztlichen, physiotherapeutischen und psychologischen jeweils einstündigen Befundaufnahme, einer Teamsitzung aller beteiligten Fachbereiche und aus einem gemeinsamen Abschlussgespräch mit dem Patienten. „Hierbei beziehen wir den Schmerzpatienten aktiv ein“, erläutert die Expertin. „Die behandelnden Therapeutinnen und Therapeuten besprechen die Therapiebefunde sorgfältig mit den Betroffenen und stimmen die Versorgung anschließend auf die individuellen Bedürfnisse ab.“ Die Ergebnisse aus solchen Besprechungen werden standardisiert dokumentiert – und zwar in einer Form, die für Patienten gut nachvollziehbar ist.
Die bisherigen Erfahrungen aus PAIN2020 zeigen, dass Haus- und Fachärzten bei der Identifikation von Patienten mit Risikofaktoren für eine Chronifizierung ihrer Schmerzen eine große Bedeutung zukommt. Nach der multiprofessionellen Diagnostik ist es ihre Aufgabe, die Empfehlungen, die frühzeitig zu Beginn der Schmerzerkrankung mit einem Patienten erarbeitet wurden, umzusetzen. Das bedeutet, dass eine gezielte Vernetzung der Schmerzexperten aus den verschiedenen Fachbereichen essenziell für den Therapieerfolg ist.
Das vorläufige Programm finden Sie unten angefügt.
Migräne per App behandeln? Was die Digitalisierung in der Kopfschmerzmedizin bewirken kann
Mannheim, 21. Oktober 2020 – Fast sechs Millionen Menschen leiden in Deutschland an Migräne. Wiederkehrende pulsierende Kopfschmerzen, Übelkeit und Lichtempfindlichkeit beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen sehr. „Digitale Angebote wie Kopfschmerz-Apps oder das Kopfschmerzregister der DMKG können die Therapie auf vielfältige Weise unterstützen“, sagen Experten auf der heutigen Online-Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress 2020. Sie geben Tipps, wie digitale Technik in der Kopfschmerzmedizin sinnvoll und hilfreich eingesetzt werden kann.
Der Schmerzkongress findet in diesem Jahr online statt. Veranstalter sind die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e.V.
Gibt man im App-Store das Wort „Kopfschmerz“ ein, so erhält man unzählige Treffer. Doch was ist sinnvoll, was wirklich nützlich? Und welche digitalen Angebote können wirksam in der Migräne-Therapie eingesetzt werden? „Das Führen eines Kopfschmerzkalenders, notwendig für die Überprüfung des Effekts der Behandlung, fällt vielen Kopfschmerzpatienten mit einer App deutlich leichter als mit der Papierversion“, erklärt Dr. med. Ruth Ruscheweyh, zertifizierte DMKG-Kopfschmerzexpertin vom Klinikum der Universität München. Mithilfe eines solchen Kalenders bekommen Arzt und Patient einen Überblick über Schmerztage, Häufigkeit der Schmerzmitteleinnahme, Schmerzstärke und Begleitsymptome und können so beurteilen, ob die Therapie anschlägt. Gute Apps ermöglichen das Herunterladen eines übersichtlichen Reports mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Daten, der verschickt, ausgedruckt und mit dem Arzt besprochen werden kann.
Aber die kleinen Programme können noch viel mehr: Die Migräne-App der Schmerzklinik Kiel zum Beispiel setzt zusätzlich auch auf Patientenschulung, warnt vor Medikamentenübergebrauch und berechnet den Zeitpunkt, zu dem der Patient das Migränemittel Triptan einnehmen sollte. M-sense, eine Migräne-App der Newsenselab GmbH, erfasst neben dem Kopfschmerzkalender täglich verschiedene mögliche Auslöser – und kann so nach einer gewissen Zeit Vorhersagen über individuelle Trigger machen.
Ein weiterer Ansatzpunkt in der Digitalisierung der Kopfschmerzmedizin ist das Kopfschmerzregister der DMKG, das im Juni 2020 gestartet ist. „Hier geben Patienten vor ihrer Erstvorstellung beim Arzt und bei jeder Wiedervorstellung wichtige Informationen über ihre Kopfschmerzen in ein webbasiertes Patientenportal ein. So kann der Verlauf der Behandlung optimal verfolgt werden“, erklärt Ruscheweyh. Zusätzlich wird empfohlen, dass der Patient die DMKG-App als Kopfschmerzkalender nutzt. Diese Informationen stehen dem behandelnden Arzt in der Sprechstunde dann übersichtlich zusammengefasst, auch mit Verlaufsgrafiken, im Arztportal zur Verfügung. Erstes Ziel des Kopfschmerzregisters sei es, so die Expertin, die Versorgungsqualität durch Unterstützung der Ärzte bei der Behandlung von Kopfschmerzpatienten zu verbessern. Zusätzlich gehen die eingegebenen Daten in anonymisierter Form auch in eine Datenbank ein, die zur Beantwortung von wissenschaftlichen Fragestellungen – etwa aus der Versorgungsforschung – genutzt werden soll. Zum Beispiel könne man so herausfinden, wie viele Patienten, die eigentlich eine vorbeugende Kopfschmerzbehandlung benötigen, auch tatsächlich eine bekommen.
Das vorläufige Programm finden Sie unten angefügt.
Opioide als wirksame Mittel im Kampf gegen den Schmerz?! Experten empfehlen kritischen Umgang
Mannheim, 21. Oktober 2020 – Opioide gehören zu den stärksten Schmerzmitteln mit relevantem Suchtpotenzial. Weltweit gehört Deutschland zu den Ländern mit den meisten Opioidverordnungen – rund 70 Prozent davon erfolgen bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (CNTS). Dennoch liegt in Deutschland keine Opioidkrise vor, sagen Experten auf der heutigen Online-Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress 2020. Sie empfehlen in der aktualisierten Leitlinie zur Schmerztherapie einen kritischen Umgang mit Opioiden bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen.
Der Schmerzkongress findet in diesem Jahr online statt. Veranstalter sind die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e.V.
Die Behandlung chronischer Schmerzen – tumorbedingt oder nicht tumorbedingt – ist eine Herausforderung. Häufig kommen dabei Opioide zum Einsatz. Sie gehören zu den stärksten Schmerzmitteln. „Da mit der Verwendung der Schmerzhemmer bei CNTS zahlreiche Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel und Müdigkeit einhergehen – und gleichzeitig die Wirkung bei CNTS bei vielen Patienten nur gering ist –, sollte ihr Einsatz, gerade auch wegen des Risikos einer Abhängigkeit, kritisch hinterfragt und überprüft werden“, sagt Professor Dr. Frank Petzke von der Abteilung Schmerzmedizin der Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Göttingen. Das hätten beispielsweise die dramatischen Erfahrungen mit der Opioidkrise in den USA gezeigt, die durch die unkritische Verordnung medizinischer Opioide mit ausgelöst und unterhalten wurde. Mittlerweile wird die Krise durch die illegale Einnahme von Heroin und illegal hergestelltem Fentanyl und Fentanylanaloga verschärft. 2018 gab es in den USA circa 46 000 Todesfälle im Zusammenhang mit einer Opioid-Überdosierung, davon etwa ein Drittel durch medizinisch verordnete Opioide. Geschätzt 1,7 Millionen Amerikaner sind von medizinisch verordneten Opioiden abhängig. Gerade weil in Deutschland im weltweiten Vergleich viele Opioidverordnungen durchgeführt werden, beobachten Schmerzexperten die Entwicklungen hierzulande mit einem kritischen Blick. Von einer Opioidkrise wollen sie jedoch nicht sprechen – auch wenn Unter-, Fehl- und Überversorgungen im klinischen Alltag zu finden sind. „Damit die Gabe der Schmerzhemmer sozusagen in kontrollierten Bahnen erfolgt, hat es sich die Deutsche Schmerzgesellschaft bereits früh zur Aufgabe gemacht, Einsatzgebiete und Grenzen einer Schmerztherapie mit Opioiden zu definieren und Vorschläge für eine gute klinische Praxis zu erarbeiten“, erklärt Petzke.
Die Aktivitäten in diesem Bereich erfolgen schon seit vielen Jahren: Bereits 2009 erschien die erste Version einer Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS). Darin wurde darauf hingewiesen, dass Opioide im Durchschnitt nur geringe Wirkeffekte bei CNTS zeigen und dass deren Einsatz verantwortungsvoll erfolgen sollte. Zum Ausbleiben einer Opioidkrise in Deutschland trägt nach Einschätzung von Schmerzexperten zum einen diese Leitlinie bei, zum anderen auch das Gesundheitswesen: Hier werden auch Kosten für die oft wirksameren, nicht medikamentösen Schmerztherapien erstattet und Opioidverschreibungen reguliert.
Ein interdisziplinäres Team unter Beteiligung von Vertretern aus 30 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften sowie von zahlreichen Organisationen hat unter der Koordination der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. nun die dritte Version von LONTS erarbeitet (siehe unten stehender Link). Die Experten haben darin mögliche Indikationen, aber auch Kontraindikationen für Opioide bei CNTS definiert und Voraussetzungen für eine seriöse Entscheidungsfindung und Therapiebegleitung geschaffen. „In der überarbeiteten Leitlinie haben wir beispielsweise die Indikationen für eine Opioidbehandlung von mehr als vier Wochen bei chronischen Rücken- und Arthroseschmerzen weiter eingeengt“, sagt Petzke. Behandler und Patienten müssten demzufolge bereits vor Beginn der Behandlung gemeinsam Therapieziele definieren, sozusagen als zukünftige Marker eines individuellen Therapieerfolgs. Zudem haben die Experten in enger Zusammenarbeit mit suchtmedizinischen Experten in der Leitlinie diagnostische Kriterien zur Identifikation eines missbräuchlichen/abhängigen Gebrauchs von medizinisch verschriebenen Opioiden und Empfehlungen für Therapien erarbeitet.
„Die Leitlinie soll Therapeuten und Patienten bei der individuellen Entscheidung unterstützen, wann Opioide bei chronischen Schmerzen zum Einsatz kommen sollten und wann nicht“, fasst der Schmerzexperte zusammen.
Das vorläufige Programm finden Sie unten angefügt.